Freitag, 29. April 2016

Zwischen Himmel und Hölle

Heute beginnt mein zweiter Tag an der evangelikalen Schule, am Colegio Cristiano. Schon zeitig fahre ich mit einem kleinen Schulbus ins elf Kilometer entfernte evangelikale Zentrum, wo sich auch die Grundschule befindet.
In einem großen, kalten und unfreundlichen Saal finden sich nach und nach die Kinder ein. An Holztischen gibt es ein "Frühstück" : trockenes Weißbrot und ein Getränk. Nach dem Essen werden die Tische zur Seite gestellt. Nun müssen sich die Schüler militärisch geordnet aufstellen. Ein Appell findet statt. Am Ende werden die Klassen nacheinander aufgefordert, in ihre Räume zu gehen.
Doch zu welcher Klasse soll ich gehen?  Welcher Klasse bin ich zugeordnet? Niemand scheint auf meinen Hilfsdienst vorbereitet zu sein. Ich warte und erlebe auch unter den Lehrerinnen eine merkwürdige Unschlüssigkeit.
Eine Lehrerin nimmt sich meiner an. Sie heißt Lidia. In ihre Klasse darf ich kommen. Schön. Der Anfang ist getan. Am Anfang werde ich vor der Klasse nach meiner Reise und Deutschland befragt. Dann werde ich gebeten, mich in die hinterste Bankreihe zu setzen. Nun erzählt Lidia sehr bildhaft eine biblische Geschichte. Die Kinder hören gebannt zu. Zum Teil kann ich sie auch verstehen. Nach der Geschichte werde ich von Lidia plötzlich gefragt, ob ich auch Jesus im Herzen hätte. Das geschieht auf eine so eindringliche Art und Weise, dass ich ihr nur zustimmen kann, ich sage ihr nach, dass ich Jesus im Herzen habe. Sie merkt sicher, daß ich darin ungeübt bin. Weiter bekomme ich mit, dass Lidia nun aufzählt, wer in den Himmel kommt oder wer in der Hölle landet. Die Schüler antworten ihr im Chor. Sie antworten gebetsmühlenartig. Sicher endet jede Geschichte damit, dass darüber gesprochen wird, wer im Himmel oder in der Hölle landet. Die Antworten der Kinder sind eintrainiert. Sie wissen genau, wie sich ein gutes Kind zu verhalten hat, und welches Kind böse ist, also in die Hölle kommt. Nun wendet sich die Lehrerin Lidia wieder an mich. Sie nennt ein Beispiel. Ich habe es nicht ganz verstanden. Jemand soll in den Himmel oder in die Hölle. Ihr Druck ist so groß,  dass ich antworten muss. Nun in die Hölle will ich keinen verbannen. So sage ich nach einigem Zögern: Himmel. Lidia ist entsetzt. Sicher habe ich eben ein "böses" Kind in den Himmel befördert. Schnell beginnt sie die Schüler erneut zu befragen. Ergeben antworten ihr die Schüler.  Erst jetzt findet der Böse seinen richtigen Platz in der Hölle.
Lidia versucht ihre Situation zu retten, indem sie den Kindern erklärt,  ich sei eben ein Ausländer,  könnte es nicht richtig wissen.
Nach dieser ersten Stunde lande ich wieder im Saal, wo jetzt eine Sportstunde stattfindet.  Ich beobachte das Geschehen, als plötzlich wieder Lidia auftaucht. Sie sagt, dass ich zur Sekundarschule trampen solle, da heute die  Direktorin der Grundschule nicht im Haus sei.
So trampe ich zurück nach Pehuenia. Dort melde ich mich bei der Direktorin. Norma ist für diese zweite Schule verantwortlich. Sie wundert sich natürlich, dass ich plötzlich in der Sekundarschule erscheine. Nach einer Stunde ergeben sich nocheinmal Hospitationsstunden. Dann bestellt sie mich für um drei wieder in die Schule. Nun ist Natanael Bongarrá- Pastor, Geschäftsführer und der Mann von Norma - wieder im Haus. Diesmal erklärt er mir, dass ich doch kein Volontariat an der Schule machen könnte. Traurig und auch ratlos kehre ich heim, Lande wieder im Haus von Ariel.
Am Abend wie auch in den kommenden Tagen zerbreche ich mir den Kopf darüber, was plötzlich geschehen war, was zu dieser Wende geführt hatte. Hatte ich in der Prüfungsstunde bei Lehrerin Lidia, nicht die richtigen Antworten gegeben. Hatte sie gemerkt, dass ich kein Insider bin? Oder hatte es sich die Schulleiterung einfach anders überlegt. In Südamerika kann es vorkommen, dass sehr schnell ja gesagt wird, was dann wieder zurückgenommen wird. Oder war es die verzwickte Situation. Ich kam in die Grundschule, die Direktorin an diesem Tag nicht im Hause. So übernahm eine besonders evangelikale Frau den Fall. Später merkte sie, dass ich nicht in ihr System passe. Daraufhin schickte sie mich wieder weg. Die andere Schule wunderte sich sicher. Womöglich berichtete Lidia sie noch etwas über mich... Den wahren Grund meiner nachträglichen Ablehnung werde ich sicher nie erfahren. Womöglich entschied ich mich falsch zwischen Himmel und Hölle. In gewisser Weise hatte ja mein Volontariat an der evangelikalen Schule auch einen etwas gewagten Zug an sich.

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